zurückZurück zum Blog

„Wir bieten Struktur, Räume und Beziehung!“

_T2A7531Marie Enßlin, Leiterin des integrativen Kinderhauses im Drehpunkt, über das pädagogische Konzept, die Bedeutung von männlichen Erziehern als Bezugspersonen und die Freude darüber, ehemalige Kinderhauskinder wiederzutreffen.

Marie Enßlin, warum sollten Eltern ihre Kinder dem Drehpunkt anvertrauen?

Marie Enßlin: Kinder finden bei uns klare Strukturen und Rituale und haben gleichzeitig jede Menge Gestaltungsräume. Dazu haben wir ein stabiles, verlässliches Team, das schon seit vielen Jahren zusammenarbeitet und eine  anregende Kultur untereinander. Auch auf eine gute Kommunikation zwischen Kinderhaus und Eltern wird bei uns sehr viel Wert gelegt. Zusammengefasst: Wir gehen verantwortungsvoll mit dem Vertrauensvorschuss seitens der Eltern um.

Lässt sich die pädagogische Philosophie in drei bis fünf Sätze packen?

Enßlin: Wir machen nicht jeden pädagogischen Trend mit. Wir sehen uns als Bewahrer des Guten und Bewährten. Kinder brauchen Kontinuität und Sicherheit, dann können sie sich entwickeln und selbständig werden. Sehr positiv wirkt es, dass sich kleine Kindern bei uns immer an älteren orientieren können – und umgekehrt. Bei der Projektarbeit können sich alle, Kleine wie Große nach ihrem Entwicklungsstand, auch Kinder mit Behinderung einbringen. Ebenso ist eine Differenzierung innerhalb der Gruppen manchmal sinnvoll, Kleine machen bei uns dieselben Themen, aber eben ihrem Alter entsprechend.

Die Qualitätsanforderung in allen Kitas hat sich enorm verbessert, so braucht man beispielsweise für eine Betriebserlaubnis eine Konzeption.

Enßlin: Zunächst mal ist es ja ein gutes Zeichen, dass viele aktuelle Qualitätsanforderungen schon immer der Drehpunkt-Weg waren, der schon vor über 30 Jahren begonnen hat und seitdem stetig weiterentwickelt wurde. Wir wollen gar nicht anders sein, sondern bieten das, was uns sinnvoll erscheint: Neben den erwähnten Punkten von Struktur und Raum gehört es zum Beispiel  bei uns schon immer dazu, dass es Hausbesuche und einen individuellen Begrüßungsbrief für jeden Neuankömmling gibt. Zudem können sich die Eltern intensiv einbringen.

Inwiefern sind die Eltern beteiligt?

Enßlin: Zum Beispiel dadurch, dass sie kochen. Ein Monatsplan regelt den Ablauf. Entweder wird im Drehpunkt selbst gekocht oder das Essen wird mitgebracht. Die Eltern haben  die Qualität der Ernährung in der Hand und jeder weiß, was sein Kind isst. Auch bei der Vorbereitung von Festen sind die Eltern dabei – beim Sommerfest oder Laternenfest, die es regelmäßig gibt. In den verschiedensten Gremien können die Eltern mitgestalten. Es finden regelmäßige Elternabende statt, bei denen die Eltern ihre Belange einbringen können und viel über das Kinderhausleben ihres Kindes erfahren. Nachmittags kann das Freigelände genutzt werden, wo sich immer wieder Eltern treffen und austauschen können, während die Kinder spielen.

Was charakterisiert die Arbeit des Kinderhauses noch?

Enßlin: Wir haben zum Beispiel männliche Erzieher in beiden Gruppen. Männer in Erziehungsberufen sind ja immer noch eher die Seltenheit, dabei setzen sie wichtige, andere Impulse. Sie bieten andere Identifikationsmöglichkeiten für die Kinder. Der sorgende Mann, der ein Kind wickelt, ist ein gutes Vorbild. Wir haben altersgemischte Gruppen und bieten Themen an, die aber altersgerecht differenziert dargeboten werden.

Der Drehpunkt war von Beginn an ein integratives Kinderhaus – wie weit ist es mit der Inklusion?

Enßlin: Wir haben im Drehpunkt schon immer inklusiv gearbeitet, aber die Rahmenbedingungen geben es noch nicht her, dass Inklusion wirklich flächendeckend gelebt werden kann. Da sind wir alle noch ein Stück entfernt. In beiden Gruppen nehmen wir Kinder mit Behinderung auf. Wir haben übrigens derzeit noch zwei Plätze für Kinder mit besonderem Bedarf.

Wie sieht ein typischer Tag der Kinderhaus-Leiterin aus?

Enßlin: Der Tag fängt für mich um 8.00 Uhr oder um 7.30 Uhr an – mit dem Frühdienst, eventuell einer kurzen Frühbesprechung mit den KollegInnen und ersten Elternkontakten. Danach steht Arbeit am Schreibtisch an – fachliche Dokumentation, Auftragsbearbeitung, Planung. Des Weiteren gibt es diverse Sitzungen – etwa mit dem Team, Supervision oder in Arbeitskreisen. Der Tag geht dann rund um den Kinderhausschluss um 15 Uhr mit Elternkommunikation weiter, nach weiterer Schreibtischarbeit endet er für mich gegen 16:30.  Ich arbeite in den Projekten mit den Vorschulkindern mit und koche einmal im Monat mit den Kindern ein komplettes Mittagessen für uns oder gehe mit der Gitarre in den Singkreis, wenn die Zeit es erlaubt.

Inwiefern hat sich die Arbeit in der Kindererziehung verändert?

Enßlin: Es sind viele administrative Tätigkeiten und Anforderungen dazugekommen. Allein für die Antragsarbeit muss eine Menge Zeit investiert werden. Ich versuche als Leiterin die Nähe zu den Kindern und KollegInnen zu bewahren, indem ich bei der Gruppenarbeit oder beim Essen dabei bin. Man findet mich durchaus auch beim Küchendienst.

Wie wichtig ist es, dass das Team sich fortbildet und was tut der Drehpunkt in dieser Hinsicht für seine Mitarbeiter?

Enßlin: Wir sind bei vielen Arbeitskreisen beteiligt, schon immer in der AG Inklusion, im AK für unter Dreijährige und dem Erzieherarbeitskreis in Hofheim. Zudem bin ich in der Landesarbeitsgemeinschaft Frühe Hilfen engagiert. Als Team arbeiten wir an verschiedenen Themen, die immer wieder aktuell sind, wie Eingewöhnungssituation oder Essen im Kinderhaus. Wir sind bedarfsorientiert. Wenn wir ein Kind mit Autismus haben, machen die Kollegen dazu eine Fortbildung oder wir laden Fortbildner ein. Ebenso hatten wir mal einen Gebärdenkurs und Fortbildungen zum Thema KiföG. Zudem hat das Team regelmäßige Supervisionssitzungen.

Warum macht der Job so viel Spaß?

Enßlin: Es ist bei aller Erfahrung immer wieder unglaublich bei einer solchen Entwicklung dabei zu sein, die ein Kind mit den Jahren im Drehpunkt macht. Es kann ja durchaus sein, dass wir es vom einjährigen Krabbelkind bis zum Schulkind betreuen und begleiten. Und dann kann ich es manchmal selbst nicht glauben, was aus den Babies geworden ist, wenn sie uns in Richtung Schule verlassen.

Sieht man manche Kinder wieder?

Enßlin: Der Kontakt zu ehemaligen Drehpunkt-Kindern ist sehr gut. Wir bekommen immer mal wieder Besuch oder man begegnet sich in der Stadt. Ein ehemaliges Kinderhaus-Kind aus der Gründerzeit ist heute übrigens unsere Ergotherapeutin.